Camilla Maria Schweizer (1892 - 1962)

Camilla Maria Schweizer (1892 - 1962)
Meine verehrungswürdige Oma. Sie hat mir gegeben was mich umtreibt im Haus.

Mittwoch, 15. Juni 2011

Seraphen mit sechs Flügeln

Sechsflügeliger Seraph.
Europäische Wandmalerei

Am kommenden Sonntag hat die ev. Kirche zum Trinitatis-Sonntag offenbar Jesaja, Kapitel 6 als Predigttext vorgegeben. Manche Predigerinnen und Prediger ratschlagen noch (in Facebook), wie sie damit umgehen sollen. Weiß ich auch nicht per Stein der Weisen, aber ein paar Einfälle sind mir dazu gekommen heute Nacht.
Ich plaudere hier alles aus, was mir dazu einfällt, ungeordnet, so wie´s in den Kopf kommt.

Der Text aus www.Bibel-online.net, mit Links (vulgo: Verweisen) auf assoziierte andere Bibelstellen:

Jesaja - Kapitel 6

Jesajas Berufung zum Propheten

Des Jahres, da der König Usia starb, sah ich den HERRN sitzen auf einem hohen und erhabenen Stuhl, und sein Saum füllte den Tempel. (Johannes 12.41) Seraphim standen über ihm; ein jeglicher hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll! (Offenbarung 4.8) (Habakuk 3.3) daß die Überschwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. (Hesekiel 10.4) (Offenbarung 15.8) 
   Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. (2. Mose 33.20) Da flog der Seraphim einer zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen gerührt, daß deine Missetat von dir genommen werde und deine Sünde versöhnt sei. (Sacharja 3.4) 
   Und ich hörte die Stimme des HERRN, daß er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich; sende mich! Und er sprach: Gehe hin und sprich zu diesem Volk: Höret, und verstehet's nicht; sehet, und merket's nicht! (Matthäus 13.11-15) (Johannes 12.40) (Apostelgeschichte 28.26-27) 10 Verstocke das Herz dieses Volkes und laß ihre Ohren hart sein und blende ihre Augen, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich bekehren und genesen. (5. Mose 29.3) 
   11 Ich aber sprach: HERR, wie lange? Er sprach: Bis daß die Städte wüst werden ohne Einwohner und die Häuser ohne Leute und das Feld ganz wüst liege. 12 Denn der HERR wird die Leute fern wegtun, daß das Land sehr verlassen wird. 13Und ob der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie eine Eiche und Linde, von welchen beim Fällen noch ein Stamm bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stamm sein. (Jesaja 4.3)

Meine Gedankensplitter dazu:

1.   Klären: Was hat diese Perikope mit der Dreifaltigkeit zu tun? (Peri-Kope = Aus-Schnitt, also zur gesonderten Betrachtung herausgenommener Abschnitt.)

2.   Jesaja gilt aus christlicher Sicht als einer der wichtigsten Propheten der Jüdischen Bibel (AT), weil bei ihm das Erscheinen des Messias vorgezeichnet sei.

3   Jes 6 ist das Dokument der Berufung des Propheten, und zwar sogleich mit einem für´s erste schwer nachvollziehbaren Auftrag: Führe Jerusalem vor, indem du dieses Volk ohne Ohren und Augen vollends ins Elend zwingst, damit sie bis zum Stumpf vertilgt werden und erst danach etwas Neues wird wieder wachsen können. Kann man den letzten Satz so verstehen: Aus dem Stumpf wächst wieder etwas? Assoziation: Im Weihnachtslied Es ist ein Ros (eigentlich ein Reis, also ein junger Trieb, der aus einem Wurzelstock zart entspringt; nicht er Wurzelstock ist zart sondern der frische Trieb!) entsprungen aus einer Wurzel zart wird auf Jesaja bezogen: ... wie uns Jesaja sagt ... Gemeint sind dabei die Prophezeiungen des Propheten, dass der Messias komme, an anderer Stelle des Jesajabuches. Das Bild des jungen Triebs ist aber in Jes 6,13b ebenfalls da: Ein heiliger Same wird solcher Stamm sein.

4   Das war das Pferd vom Schwanze her aufgezäumt. Zuerst einmal geht´s in Jes 6 natürlich um die Berufung des Propheten selbst.

5     Nach allem was ich aus eigenem Träumen weiß, nächtlich, nicht im Dösen, das sich jahrzehntelang in einer epischen Fülle eingestellt, wiederholt, gesteigert und wieder zurück gezogen hat, vom Material her etwa dreibändig, Großformat, nach all dem muss ich den Berufungstext bei Jesaja als Traum betrachten. Selbst wenn es sich um eine sogenannte Vision handeln sollte, hat diese notwendigerweise den Charakter des nicht Rationalen. Dabei vermengen sich Bilder in nicht selten unrealistischer Weise und signalisieren Bedeutungen, die in tiefen Schichten liegen und aufgeblättert werden müssen, wenn man sie verstehen will. Sie nur an der Oberfläche des Textes, sozusagen als Realbericht zu nehmen, geht meines Erachtens nicht. Versucht man zudem, sich die Weltsicht eines gebildeten und sozial abgesicherten Bürgers von Jerusalem kurz vor dem Babylonischen Exil vorzustellen, ergeben sich mir folgende Haltepunkte:

Yo Gi Oh - Karte
a)   Die Erde ist ein Spielfeld weltlicher Mächte und Kräfte, repräsentiert durch Machthaber in Glanz und Prunk samt ihrem (militärischen) Potential.
b)   Für Juden ist der oberste Herr und Kriegsherr der eine Gott, der keinen Eigennamen hat (außer, seit Moses: Ichbinda), von dem es kein Bild gibt, eines zu machen nicht sinnvoll und deswegen streng verboten ist, und den man nicht sehen, geschweige denn ansehen kann, weil man sonst verzehrt wird von der Gluthitze seines Feuers.
c)   Jerusalem ordnet sich der Tempelhierarchie unter.
d)   Die Welt ist ein Schlachtfeld des Überlebens, nahrungstechnisch und sicherheitstechnisch. Wer vom Pfad der Tugend und gesellschaftlicher Ordnung abweicht, wird von Gott streng bestraft, bis hin zur Vernichtung. Gleichwohl buhlt man um die Huld Gottes und sieht Zeichen für Zuteilung oder Verweigerung in allen Phänomenen der belebten und unbelebten Natur.


Yo Gi Oh - Karte
e)   Für die Vorstellung der überirdischen Mächte haben sich schon seit Jahrhunderten Bilder und Bilder von Figuren und Rollen herausgebildet, die man im gesamten Orient dargestellt sieht: Geflügelte Wesen, thronende Wesen, feurige Wesen, Mischwesen aus Tier und Mensch, gefräßige und menschenverschlingende Wesen, übermächtige Kriegsmaschinen und Kriegshelden, Götter, die hinter den Naturgewalten und Schicksalen stehen, persönlich, im Streite miteinander und unberechenbar. Insgesamt ein Panoptikum, das von Menschen erdacht ist und bis heute fasziniert. Siehe auch die japanischen Pokemon-Figuren, vor allem auch die Yu-Gi-Oh-Karten, mit denen Buben spielen, auf denen alle diese phantastischen Figuren und ihre Mächte und Ohnmächte, Stärken und Achillesfersen minutiös dargestellt sind.
f)   Ich behaupte, dass Jesajas Berufungsvision aus der Vorstellungswelt jener Zeit ihre Bilder hat und keine Realschilderung eines objektiv gegebenen Fakts ist.
g)   Unter Fakt verstehe ich etwas, das auch außerhalb von mir, von anderen nachgedacht, überprüfbar und reproduzierbar ist.

6   Woher hat Jesaja seine Traumbilder? Sind sie ihm gegebene und haben sie nichts mit seinen Erfahrungen in der Wachheit zu tun? Oder nehmen sie Erfahrungen der Wachheit und collagieren mit ihnen etwas Neues, ohne die Fesseln der Ratio ? Und hätte dann dieses Neue Anspruch auf Bestand in der Welt des Wachseins, in der Jesaja dann predigt, prophezeit, warnt und andere überzeugen will?

Yo Gi Oh - Karte
7   Jesaja sagt lapidar: Ich habe den Herrn gesehen. Das ist, so weit ich weiß, einmalig in der Bibel. Nicht einmal Moses hat den Herrn gesehen, obwohl er mit ihm einen mehr als intensiven Austausch hatte (Sinai, 10 Gebote, Dornbusch).

8   Jesaja sagt aber nichts Näheres über über sein Sehen des Herrn. Stattdessen beschreibt er die Seraphen. Diese galten als die gottnächsten himmlischen Wesen, gefolgt von den Cheruben. Von beiden Vorstellungen gab es in der Antike vielerlei bildliche Darstellungen. Zum Beispiel an der Bundeslade. Dann die Sphinxen in Ägypten, sicherlich diverse "Götzenbilder", Figuren an Stadttoren und besonderen Plätzen, Standbilder aller Art, Einritzungen und Schmuckgebilde. Solche Darstellungen dürfte Jesaja gekannt haben. Dann wäre nicht verwunderlich, wenn sie in seine Traum- oder Visionswelt einfließen. Außerdem kannte Jesaja wohl den Tempel in Jerusalem nicht nur von außen. Nach meiner Lektüre gehörte er zu einer privilegierten Schicht, die weit hinein Zugang gehabt haben dürfte, wo er sicherlich Eindrücke des Hohen und Großen hatte, das sich auch im Traumbild umsetzen und erweitern lässt.
Cherub, auch er hat sechs Flügel



Ich selber hatte einst eine Traumbegegnung mit einem (mit einer Art) Engel, auf freiem Feld trat der auf, ca. 80 Meter hoch, wie ein Turm, und von einer ehernen Lautstärke im Rufen, die mich erschüttert und gleichzeitig eingehüllt und geschützt hat. Seither denke ich mir Engel nicht als Flügelwesen mit Gesicht sondern etwa wie riesige Roboter - das ist nur ein Versuch, den Eindruck weiterzugeben - allerdings nicht aus Metall und Elektronik sondern aus wehender Stärke, aber eben mit Gestalt und kaum begrenzter Kraft.
Die Frage allerdings muss offen bleiben: a) "Sieht" Jesaja Bildcollagen, die sein Gehirn aus dem produziert, was es in sich trägt, oder werden ihm b) von außen, also in diesem Falle vom Herrn, Bilder eingelegt, oder - falls b) - bedient sich c) der Bildeinleger dabei der Bilder, die in Jesaja da sind oder projiziert er d) neue in das Wahrnehmen des Jesaja?

Cheruben im Tempel, Fantasiebild.
9   Die Visionsbericht Jes 6 muss so eindrücklich gewirkt haben, dass er bis heute die Vorstellung von Seraphim (Mehrzahl von Seraph, bedeutet soviel wie Hitzebringer, auch Schlangen wurden so bezeichnet, deren Biss Feuer im Leib erzeugt) und von der geradezu tumultartigen, nicht fassbaren Großartigkeit der Heiligkeit im und um den Herrn geprägt hat. Das Bild der auf und ab steigenden Engel, oder hin und her wogenden Schallrufe, das man ja auch aus der Weihnachtsgeschichte kennt, das ängstigt, weil so erdrückend gewaltig, so dass die Engel erst einmal sagen müssen, fürchtet euch nicht, hat die ganze einschlägige Literatur und Bilddarstellung des Abendlandes zu diesem Komplex geprägt. Mir fällt ein eine Illustration in Dantes göttlicher Komödie. (Bild suche ich noch)

10   Das dreimalige Heilig (Tris-Hagion) samt dem kompletten Zitat in Vers 3 ist heute noch das Zentrum der so genannten Präfation, des Hochgebetes der katholischen Messe (Sanctus), Höhepunkt der Vorbereitung der Transsubstantiation in der Wandlung (Brot wird zum Leib Christi). Diese liturgische Rolle zeigt die überragende Bedeutung der Jesaja-Vision für das jüdisch-christliche Gottesbild und den Kult.

11   Jesaja biete sich zur Sendung an. Andere Propheten oder Figuren des AT, die der Herr als Mitarbeiter im Visier hatte, haben sich anfangs eher geziert oder dem Appell zu entziehen versucht (etwa Jonas). Demgegenüber erweist sich Jesaja nach der Berührung seiner Lippen durch glühende Kohle geradezu als eifriger Musterschüler. Wie deutet man das?

12   Welche gewichene Schuld, welche gesühnte Sünde ist gemeint in Vers 7?

13   Jesajas Vision lässt sich datieren: 736 v.Chr., "als König Usija starb". In dieser Zeit bedrängte das Assyrische Reich unter Tiglatpileser das jüdische Land. 722 kommt es zur Eroberung des Nordreiches, die gesamte jüdische Oberschicht wurde ins Exil geführt (Babylonische Gefangenschaft). Frage: Ist es denkbar, was in den Evangelien später gang und gäbe ist, dass erlebte Geschichte (Niedergang Jerusalems und des Tempels) im Berufungsbericht des Jesaja als prophetische Ankündigung und die eigentlich unverständliche Drohung des Herrn (selbst in Sodom und Gomorrha ließ er mit sich feilschen!), ohne Gnade bis auf den Stumpf auszuradieren, bekannt war und somit begründet in die Prophetie in Jes 6 Eingang gefunden hat?

14   Jesaja bedeutet Gott hilft (also die hebräische Urform des schwäbischen Gotthilf). Da spüre ich einen Widerspruch zu dem geradezu sintflutstrengen Hinweis des Herrn, Jesaja soll solange das Volk vorführen, bis es vollends getilgt sein werde. Irgendwas passt da oder verstehe ich da nicht.

15   Ich habe heute fast 10 Predigten evangelischer Theologen zu Jes 6 im Internet gelesen, vom Prof. Dr. Dr. bis zum Studenten. Alles nicht ganz so sehr berückend. Viele Wörter und Sätze. Offenbar ein schwer zugänglicher Text mit homiletischen Hürden. (Homilie = Die Kunst der Predigt, des Austauschs).

Und hier noch ein Bild von Hieronymus Bosch, dem Maler des ganz normalen Grauens, Wahnsinn, der Hölle, des Himmels, des Unwirklichen und des nur subjekitv Wirklichen.


Hieronymus Bosch, Gefallene Engel

(Alle Abbildungen aus Google Bilder)

Freitag, 10. Juni 2011

Joshua, Sohn der Maria


Lustiges Buch mit Hintersinn
Seit gestern lese ich Jesus liebt mich von David Safier. Zur Entspannung, sagte Madame mit besorgtem Blick, als sie mir das Buch gebracht hat.  In der Tat, ein lustiges Werk. Eine Marie und ein Joshua alias Jesus von Nazareth geraten in eine Liaison. Engel Gabriel spielt auch mit, als ev. Pfarrer. Und George Clooney, als Teufel. Als Jung-Zimmermann Joshua seinen ersten Auftritt hat - er muss den Dachstock im Hause von Marie´s Vater ausbessern - lässt der Autor die Marie sagen, der Zimmermann sähe ein bisschen aus wie die Bee Gees in ihren besten Zeiten. Speziell wie Barry Gibb. Wer weiß das noch? Edles schmales Engelsgesicht mit Bart, Jesusbart eben, so wie man sich Jesus mit Bart vorstellt.

Ich stelle mir Jesus nicht vor. Also nicht sooo. Früher schon. Gelockter Bartträger mit wärmenden Augen. Wie Barry Gibb. Mit Körpersprache in Slow Motion, stets zum Segnen und Heilen geöffnete Handflächen. Und mit bestimmter aber sanfter Stimme, die Worte meißelnd, eherne Sätze, den Zweiflern und Provokateuren immer ein Tempo voraus, wie die Schachspieler sagen.
Barry Gibb von den Bee Gees
Die moderne Bibelwissenschaft hat akzeptiert, dass alle Schriftquellen keinen anderen Schluss zulassen als diesen: Jesus war vom Lande, der Erstgeborene eines Mädchens mit 14 oder 15 Jahren, den sein Stiefvater Josef als Sohn angenommen hatte, samt seiner blutjungen Mutter als Ehefrau, damit die kleine Schöne nicht als Hure verschrien wird, die den Knaben ledig hatte, wie man im Schwäbischen sagt. Aus dem Sumpf von Schimpf und Schande wollte er das Mädele heraushalten. Großartiger Mann! Viel mehr Buben sollten Josef heißen. Und dann kamen noch einige weitere Kinder, Jesu Geschwister, von denen meine katholische Kirche aber auch gar nichts wissen will, obwohl sie den Apostel Jakobus, zu dem man (Bin eben mal weg) auf dem Camino nach Compostela pilgert, Herrenbruder nennt.

Das kann man überall in der Fachliteratur nachlesen. Nicht bei allen Autoren, aber bei sehr vielen. Der Konsens ist nicht vollkommen, aber angesichts der realhistorischen Kenntnisse jener Zeit naheliegend und kaum mehr aufzukündigen. Der katholischen Amtskirche sind diese Vorstellungen dennoch ein Gräuel, weil sie Jesus lieber unkörperlich als fleischlich sehen wollen. Manchmal glaube ich, dass man den Satz  Und ist Fleisch geworden aus dem Credo mit spitzer Zunge ausspricht, leicht pikiert, weil man es lieber sähe, wenn die Maria vielleicht gerade mal mit stillender Brust, aber eben nicht mit empfangender oder gar gebärender Vulva vorzustellen wäre.
Dieser Realitätsverlust zeigt sich auch in der geradezu klassischen Missdeutung von Unbefleckte Empfängnis. Landläufig denken die Leute, Jesus sei unbefleckt empfangen worden, Maria also von einem unaussprechlichen Vorgang verschont geblieben gewesen. Nachthemd an, Licht aus, stumme Balgerei, keine Flecken auf dem Leintuch. Dabei meint der dogmatische Begriff, dass Maria selbst im Schoße ihrer eigenen Mutter ohne Sünde empfangen und sündenfrei geboren worden sein muss. Lauter Gedanken von spitzfindigen Männern (herrliches Wortspiel: Spitz findigen...) mit neurotischer Beziehung zu Leib und Leben. Rein und abgehoben soll der Jesus sein, nicht von dieser Welt, sondern herab gekommen zu einem Pflichtgastspiel, um die Heilspläne seines Vaters mit den Menschen durch einen Opfertod umzusetzen.
Das wiederum ist mir ein Gräuel. Was ist das für ein Gott, der seinen Sohn zum Menschen macht, in welcher metamorphen Gestalt er Menschen fischen, also zum Glauben führen soll, um ihn dann sadistisch abschlachten zu lassen? Was haben sich die Glaubenshüter der ersten Jahrhunderte nicht gerauft um diese Festsetzungen: Nur Mensch, nur Gott, Mensch und Gott, eines Wesens mit dem Vater? Dafür sind Ketzer ernannt und ermordet, Kriege geführt, Völker unterjocht und Konkurrenten gemeuchelt worden.
Ein Gott, der seinen Sohn auf Opfertod-Reise schickt, ist ein antiker Gott. Spiegelbild menschlicher Horrorvorstellungen, ein Monster also. Diese Vorstellungen der damaligen Welt, die mir im Gegensatz zu den Klerikalneurotikern nichts bedeuten, weil sie mein Leben und meine Empfindungen und Hoffnungen nicht erreichen, gehören ins Archiv. Außerdem, so sagte mir einmal der Leiter des Kath. Bibelwerks in Stuttgart, außerdem sei die Sündenbockmoral der mesopotamischen und kanaanitischen Kulturen mit der Legende von Abraham und seinem Sohn Isaak religionsgeschichtlich erledigt. Vater Abraham sollte ja seinen Sohn schlachten, auf Gottes Geheiß, also nach damals üblicher Praxis, um die Götter milde zu stimmen angesichts eigener Schuld. Und da fällt ihm jemand in den Arm, und statt Isaak muss ein Böcklein dran glauben. Das weist auf eine Zeit zurück, in der dem Menschen bewusst wurde, dass die Kain-und-Abel-Methode, durch Totschlagen mit Frust fertig zu werden, ausgedient hat.

Jerusalemer Mann
um 60 n.Chr., rekonstruiert

Die deutsche katholische Bischofskonferenz meint, für Christen sei es unerheblich, wissen zu wollen wie Jesus zu Lebzeiten ausgesehen hat. Mich tät´s aber dennoch interessieren, weil es ohne einen lebendigen Jesus, der ausgesehen hat, gar keinen Christus nicht gibt, weder einen auferstandenen und in den Himmel gefahrenen, noch einen zur Rechten Gottes sitzenden und dereinst wiederkommenden Christus. Schließlich haben ihn ja seine engsten Freunde nach seinem Tod gesehen, wie es der Apostel Paulus den Korinthern aufzählt. Und wenn die ihn gesehen haben, dann müssen sie ihn ja wiedererkannt haben, weil er auch als Auferstandener so ausgesehen haben muss wie vorher. Sonst hätte ja jeder kommen können und sagen Ich bin es. Und Maria Magdalena hätte in jenem Baumgarten am frühen Morgen des Ostertages sagen müssen: Tut mir leid, Herr, du kannst das nicht sein. Mein Joshua sieht anders aus. War aber nicht so. Sie haben ihn alle erkannt, liest man. Mit den Augen. Thomas sogar beim Anfassen, mit den Fingern. Also muss er ausgesehen haben, ausgesehen wie vorher und nicht irgendwie geistig und auferstanden. Oder man hat sich das nur eingebildet, im Traum, im Rausch, im außer sich Sein, solche Phänomene gibt es ja immer wieder. Dann aber könnte man das Buch zuschlagen. Nein, nein, wenn Petrus und Paulus und die vielen anderen, vor allem auch diejenigen, die mit Jesus beim Essen lagen, Körper an Körper, die ihn eingeölt und massiert haben, wenn die ihn wiedererkannt haben nach seinem Tod, dann muss er ausgesehen haben. Einige haben sogar mit ihm Fische gebraten und gegessen, am galiläischen See, nach Ostern. Aber Hallo, seit wann essen Auferstandene? Oder ist das alles nur sinnbildlich zu verstehen? Dann könnte man die Bibel neben Rotkäppchen zurück ins Regal stellen. Oder?

Die englische Funkanstalt BBC hat anhand eines Schädelfundes aus dem Jerusalem zur Zeit Jesu einen Kopf restaurieren lassen, mit allen forensischen Profilertricks, die man heute so drauf hat. Heraus gekommen ist ein etwas derbes orientalisches Gesicht, mit Bart und struppeligen Haaren. Das muss nicht der Typus Jesus sein, könnte aber. Und ist wahrscheinlicher als die Barry Gibb-Variante.

Immer wenn ich in Neuffen den Gottesdienst spiele, sehe ich vorher ein Foto von Papst Benedikt, alias Joseph Ratzinger auf dem Tisch der Sakristei stehen. Es ist so ähnlich wie das hier abgebildete. Da sitzt der alte Mann in vollem Ornat auf einem Stuhl und schaut schiergar müde in die Kamera. Und dann denke ich: Das ist also momentan der Stellvertreter Jesu auf Erden, vorläufig letztes Glied der lückenlosen Kette von Päpsten, die begonnen hat mit dem Satz Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.

Ich bin überzeugt, dass mein Enkel Paule ratlos wäre, wenn ich ihm sagen würde:  Schau her Bub, das ist der Mann, der den Herrn Jesus vertritt in Rom. Paule würde sicher fragen: Hat Jesus auch so ausgesehen. Und dann müsste ich ihm sagen: Man weiß das nicht genau, weil es keine Bilder von damals gibt. Aber sooo ganz sicher nicht. Jesus war ein Kerle wie du, zuerst ein frecher Junge, dann ein starker junger Mann, manchmal wütend oder lustig, braun gebrannt und nicht immer gewaschen. Er hat in keinen Palästen gewohnt, war jahrelang mit seinen Freunden unterwegs wie ein Landstreicher und hat nicht mal einen Schlafsack gehabt. Vielleicht so wie Robin Hood. Er ist nie in die Schule gegangen, konnte nicht lesen und schreiben, war aber sehr klug. Und mutig. Und was er gemacht und gesagt hat, das sollten wir uns schon merken. Das hat Hand und Fuß. 

Mittwoch, 8. Juni 2011

Tageskarten im Juni

Die Tageskarten in diesen Tagen sind sehr vielfältig, weil ich alle Depots, Schränke und Gefrierschränke ausräume. Aus dem, was ich finde werden Spontangerichte komponiert, deren Rezepturen nicht immer für die Öffentlichkeit gemacht sind. Sonst heißt es Iiih, schmeckt das? - oder so.

Ein paar Kostproben:
(Arbeitsanleitungen  werden nachgereicht, wenn es jemand ausdrücklich wünscht. Dazu gibt es die Kommentare unten)

Gestern gab es einen Wurst-Käse-Semmelknödel Tiroler Art (aus restlichen Wecken, Schwarzbrot, Toastbrot, Rest Gelbwurst, Rest geriebener Bergkäse). Als Soße eine braune Butter, die ich aus Butterresten zusammengeschmolzen habe. Davor eine Kartoffelsuppe mit frisch gemachter Fleischbrühe aus einer Zwiebel, einem Rest Pellkartoffeln, einem Rest Paprikastreifchen, Mohrrüben aus der Fleischbrühe und geschmälzten Zwiebelstreifen samt dem kleingeschnittenen Siedfleisch aus dem Brühentopf.

Heute habe ich die restlichen Knödel in Scheiben angebraten, jeweils eine Tomatenscheibe darauf gelegt, unterm Deckel erwärmt und danach drei geschlagene Eier als Omelette dazwischen gegossen. Zwei Pfannen voll, alle weg. Und davor gab´s Spargelcremesuppe aus einem Knorr-Päckle mit Datumsgrenze.

Morgen werde ich was für den Paule machen, der wird mein einziger Gast sein. Wahrscheinlich Pfannkuchen. hat er schon lange nicht mehr gehabt und sich kürzlich gewünscht. Er darf dann zwei bis drei selber braten, wenn er von der Schule kommt. Er macht das schon ganz geschickt und kriegt dazu die etwas kleiner Pfanne, denn die große kann er noch nicht so gut in der Luft drehen. Und dazu gibt´s natürlich Nutella, Marmelade oder Zucker. Und irgendeinen (grünen) Salat dazu. Als Vorsuppe vermutlich Erbsensuppe aus der Erbswurst von Knorr und einer Handvoll Tiefkühlerbsen, mit Speckwürfelchen, kross ausgelassen und geröstet. Mit dem Fett kann man ein paar der Pfannkuchen machen. Vielleicht mache ich mir zwei mit Baconstreifen.

Etwas spannender wird´s in den Pfingstferien. Da kommt drei oder vier Mal Besuch.

Und was mache ich am Pfingstfest selber? Spätzle könnten mal wieder dran sein, Rouladen oder Geschnetzeltes oder Sahnepilze - aber die essen nicht alle meine Sippenmitglieder, leider. Offene Spiele also. Demnächst hier.

Montag, 6. Juni 2011

Wie der Geist weht wie er will

So früh wie heute Abend war ich noch nie dran. Die Vorabendmesse in Neuffen würde um 19 Uhr beginnen und um 20 Uhr beendet sein, falls der Pfarrer seinen Predigtfluss würde bremsen können. Er wird sich verspätet haben, weil er zuvor noch Gottesdienste in seinen anderen Gemeinden gehalten hat. Fünfzehn Minuten stehe ich am Gartentor, Madame fragt wie immer nach den Zeitmarken: Wann fängt´s an, warum gehst du jetzt schon, wann bist du wieder da?
Früher als sonst sitze ich im Auto und denke nicht an die Zeitmarken. Ein Gedanke hüllt mich ein, wie eine große Fahne, der ich im Wind zu nahe gekommen bin: Was werde ich heute spielen können, wird es wieder einmal geschehen, dass ich mich während des Orgelspiels angehoben fühle, als ob eine große Hand mich hoch und in den Wind trägt, der meine Einfälle flattern und wehen lässt, ohne dass ich mich um sie bemühen muss?
Zum ersten Mal seit facebook-Gedenken habe ich eine Stereotype vieler Facebook-Freunde bedient und gepostet, was ich sogleich tun werde und welche Gedanken mich begleiten:

Ich muss zuerst erklären, wie das geht mit dem Spielen, mit dem Orgelspielen im Gottesdienst. Meist habe ich zu beginnen mit einer kurzen Intrada, einem Präludium, das eben nur so lange zu dauern hat, bis der Priester und sein Gefolge vor dem Altar stehen und der Gottesdienst mit dem Gruß an die Gemeinde beginnen soll. Zwischen Vorspiel und Eröffnung singt die Gemeinde ein Lied, das Einzugslied, begleitet von der Orgel. Ich darf also zuvor nicht aus dem Vollen schöpfen, wie im evangelischen Gottesdienst. Ich muss liturgisch gleich zur Sache kommen.
Sechs bis zehn Lieder sind es meist insgesamt, je nach Art des Gottesdienste, je nach liturgischer Vielfalt und je nach Zeit im Jahreskreis (an den Fasten- und Adventssonntagen meist etwas spärlicher und musikalisch weniger üppig). Zum Schluss spielt man wiederum ein Orgelstück. Die Gemeinde zieht aus der Kirche. Manche Besucher bleiben sitzen und hören zu. Das ist freie Orgelmusik, so wie auch während des Abendmahls, der Kommunion, wie es auf katholisch heißt. Früher sagte man dazu "sub communione" spielen, und dazu gibt es sogar Kompositionen. Ich aber improvisiere fast immer diese Musiken, Vorspiele, Zwischenspiele, Nachspiele, im Stile von Praeludien oder Meditationen, unter Verwendung eines charakteristischen Liedmotivs. Fertige Orgelstücke passen oft zeitlich nicht und treffen auch nicht die Stimmung, die ich in der jeweiligen Phase des Gottesdienstes spüre.
Der Rest der Arbeit ist Schwarzbrot: Liedbegleitung, dazu ein Vorspiel (Intonation), dann eine oder mehrere Liedstrophen. Zur Liedbegleitung gibt es ein Orgelbuch mit fix und fertigen vierstimmigen Orgelsätzen. Damit tut jedes Lied und jede Strophe jedesmal gleich, außer man zieht einzelne Stimmen auf verschiedene Manuale oder ins Pedal und registriert jeweils anders. Das ist hohe Kunst und wird in gewöhnlichen Gottesdiensten in gewöhnlichen Kirchen selten gehört.
Schon lange spiele ich nicht mehr nach dem Orgelbuch. Mir genügt das Gesangbuch in Großdruck, damit ich die Melodie und die Texte der Strophen als Orientierung sehe. Den Satz zur Liedbegleitung improvisiere ich. Das heißt, er wird jedesmal neu gestaltet, wozu natürlich ein ganzer Sack voll Bausteine, die man im Laufe des Musikerlebens gefunden hat, zur Verfügung steht: Verschiedene Stimmführungstechniken, verschiedene harmonische Wendungen, verschiedene historische Anklänge, etwa Mehrstimmigkeit des Spätmittelalters, modale Mehrstimmigkeit der Renaissance, barocke Mehrstimmigkeit wie bei J.S.Bach, modernere Mehrstimmigkeit mit Quartschichtungen, polyphonen Dissonanzen, aus dem Mittelalter entlehnten Borduntechniken,  Wechsel zwischen klassischer Vierstimmigkeit, Dreistimmigkeit, Zweistimmigkeit und Unisono-Führung (alle Stimmen dasselbe in Oktaven, gerade für eine Orgel die typische Klangausrichtung), und - häufig im katholischen Lied - romantische Harmonik des 19. Jahrhunderts mit gefühlvollen Septakkorden, Doppeldominanten und verminderten Septakkorden.
Das jeweilige Liedvorspiel soll gewöhnlich kurz gehalten werden. Ich nehme mir jedoch die Freiheit, dort, wo es zeitlich möglich ist, ein Lied etwas länger einzuspielen, in der Art des Choralvorspiels. Welche Lieder ich zu begleiten habe, erfahre ich in Neuffen fünf Minuten vor dem Gottesdienst. Das ist auch nicht schlechter als in Nürtingen, wo man die Lieder wenigstens am Tag davor mitgeteilt bekommen soll - und sich dann doch die Hälfte ändert. Ich kenne aber nahezu alle Lieder und reagiere ohne Verzug.
Insgesamt nehmen die Kirchenbesucher kaum wahr, was man musikalisch so treibt im Laufe eines Gottesdienstes. Zumindest sagen sie es praktisch nie und geben auch sonst kein Zeichen, dass sie bemerken, was und wie man spielt. Am häufigsten sind Beschwerden: Zu schnell, zu langsam, zu hoch, ohne Rücksicht auf die Gemeinde bei Zäsuren und Atemstellen, richtige, aber für falsch gehaltene Phrasierungen. Und so weiter. Fast immer sind diese Mängelrügen gegenstandslos, weil die gemeindlichen Großsprecher - von denen kommen die meisten Vorhaltungen - keine Ahnung vom Singen und erst recht nicht von Musik haben. Außerdem bemängelt die eine Gemeinde, was die andere begrüßt. Deswegen wird mein Orgelspiel im Gottesdienst fast immer zu einer Art Innenschau: Was kriege ich heute hin, was höre ich, vorgelesen oder gepredigt, das mich inspiriert, welche Eindrücke regen mich an, Wetter, Licht, Tageszeit? Was blockiert mich? Das sind meistens familiäre Dinge, die ich gerade für zwei Stunden hinter mir gelassen habe. Was ging daneben, was ist unerwartet gelungen? Nur ganz selten erkenne ich Menschen da unten, die hören können. Die bleiben dann meistens auch sitzen oder kommen sogar am Schluss kurz auf die Empore zu einem kleinen Schwätz. Oftmals sind das auch Fremde, auf der Durchreise, Kurgäste, Familienbesuch.

Mit solchen Gedanken sitze ich also am Abend des 4. Juni 2011 im Auto und zuckle nach Neuffen. Zwanzig vor Sieben bin ich schon da, entere die Kirche, sehe die leeren Bänke und bin gerade im Begriff mit einem innerlichen Naja die Empore zu besteigen: Wenigstens die schöne Orgel erwartet mich. Das 12-Register-Instrument stammt aus der Werkstatt Vleugels in Hardheim, die vor sechs Jahren sogar dem Papst ein Instrument für seine Kapelle gebaut hat:
Kaum auf der Treppe stoppt mich ein silberhelles Stimmlein. Frau B. aus dem Nachbarort, die den Lektorendienst versieht und heute auch die Mesnerin vertritt, lässt sich quer durch die leere Kirche vernehmen: Kommen Sie nur wieder runter, wir machen heute den Gottesdienst in der Seitenkapelle, weil so wenig Leute kommen. Ach ja, mal was anderes, denke ich, dann halt keine Orgel.
Die Seitenkapelle ist eine rechteckige Nische in der Größe einer Zweizimmerwohnung mit Küche und liegt zwischen Kirchenschiff und Sakristei. Als Orgel hat man mir das hauseigene Klavier an die Seite geschoben. Ganz schnell arrangiere ich mich damit, hab´s ja schon öfters so gehabt in Neuffen. Auf dem Klavier begleite ich sehr gerne. Man kann besser artikulieren und die Sänger führen, vor allem bei modischen Liedern im Schlagerrhythmus. Mit der Orgel artikuliert man nur durch rechtzeitiges Absetzen oder Portatotospiel. Das Klavier hat einfach mehr rhythmische Möglichkeiten, und das tut den Liedern gut, auch den alten, die man heute meistens viel zu schlapp dahersingt.
Liederplan für den 4./5. Juni 2011
von Pfarrer Anselm Jopp,
Frickenhausen-Neuffen
In der Sakristei zieht sich gerade die kleine Ministrantin an, ein süßes Mädele, das gleich um die Ecke wohnt. Der Pfarrer kommt kurz vor knapp, das juckt aber niemand, denn in der Kirche sind erst zwei ältere Damen erschienen, die von der Lektorin sogleich in die Kapelle gelotst werden. Mehr Besucher würden es auch nicht werden heute, weil nämlich Seniorenausflug ist, und da ist der Stamm der Kirchenbesucher über alle Berge. Ich greife den Liedzettel vom Pfarrer: Aha, wieder mal ein paar Doubletten (er will dasselbe Lied strophenweise verteilt an verschiedenen Stellen). Aber was ist denn das: Lauter 200er-Lieder, acht mal, von Nummer 228 bis 245. Ich bin geradezu elektrisiert und setze mich hinters Klavier.

Eröffnung mit Lied 228 - Christ fuhr gen Himmel - ein Hymnus aus dem 12. Jahrhundert. Modal, in edler dorischer Tonart. Ist ja klar, vorgestern war Christi Himmelfahrt. Frau B. sitzt seitlich, die beiden Damen dem Altar gegenüber, die Glocke tönt, der Pfarrer tritt ein mit der lieblichen Ministrantin, die ein liturgisch abstraktes Engelsgesicht machen kann, so wie auf alten Bildtafeln. Das gefällt mir sehr gut und bewegt mich. Es ist das Reine und das Klare, das unseren katholischen Glaubensvollzug im Gottesdienst trägt - falls man ihn nicht zersägt durch Schlagergewinsel, Kindergeschrei und Ramba Zamba, um Menschen, vor allem junge Menschen in die Kirche zu locken. Gottesdienst als Event. Das ist nicht mein Ding.
Hier sitzen sechs unterschiedliche Menschen und feiern die Heilige Messe. Eine urkatholische Situation. Eine Messe mit allem drum und dran, klar, sauber, strukturiert, unverbraucht, ohne Abstriche, wie überall auf der Welt. Jeder der Anwesenden weiß, was jetzt eine Stunde lang geschieht. Nur was der Pfarrer in seiner Predigt sagen wird, das wissen wir noch nicht.
Der Pfarrer ist kurz vor seinem achtzigsten Lebensjahr. In der Sakristei hatte er sinniert: Ich habe mein ganzes Leben noch nie einen Gottesdienst ausfallen lassen, was sollen wir tun? Ich sagte: Herr Pfarrer, das ist Ihre Entscheidung, wir sind da und stehen bereit. Mich stört es nicht, wenn wenige Leute in der Kirche sind. Als Ministrant habe ich früher hunderte Mal Frühmessen ministriert, um 6 Uhr, um 7 Uhr, an allen Werktagen, mit niemandem in der Kirche außer dem Priester und wir zwei Messdiener und vielleicht zwei, drei Kopftuchweiblein in der ersten Bank. Da sagt der Pfarrer: Wir zelebrieren!
Aus dem Himmelfahrtslied entwickle ich ein Vorspiel. Herbe Quartenharmonik auf tiefem Bordun. Das mag ich, da atmen die Jahrtausende durch den Tonsatz, da spüre ich, was abendländische Musik ist, inspiriert und generiert aus frühmittelalterlichen und antiken Strukturen des östlichen Mittelmeerraumes. Erhebend und edel.
Die drei Frauen singen wie die Staren. Der Pfarrer singt mit. Die Mini-Maus guckt wie ein Engel. Und plötzlich muss auch ich mitsingen. Das mache ich sonst nie, bin da oben zu weit weg von der Gemeinde, und ich höre dann den Gesang nicht so gut, wenn ich mich beteilige.
Lied 228, Erste Strophe
Und dann spüre ich, wie es weht, wie es mordsmäßig weht in meinem Herzen. Meine Finger spielen alleine, die Melodiebögen federn frei rhythmisch, ohne Taktmaß, so wie seit tausend Jahren, und die Sänger und mein Instrument sind eins, ungeübt und lebendig und schön. Meine Augen werden nass, ich kann nicht mehr singen, muss auf die Noten achten, damit ich den Text richtig phrasiere.

Grüß Gott, schön dass sie da sind, sagt dann der Pfarrer, gerade wollte ich sagen "Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind" ... aber wir sind ja sechs. Und so wollen wir gemeinsam diesen Gottesdienst feiern, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Mit dem Heiligen Geist hatte ich vor einer Stunde noch im Facebook kokettiert: Gell, Geist? Manche werden das bemängeln, zu ironisch, macht man nicht. Ich kann aber den Geist als einzigen der drei Wesensformen der Dreieinigkeit persönlich ansprechen, weil ich ihn mir vorstellen kann, so wie ich Elektrizität spüren kann, wenn ich das Drehmoment einen Elektromotors spüre beim Versuch ihn anzuhalten.
Zum Gloria singen wir die erste Strophe von 229 - Ihr Christen, hoch erfreuet euch, der Herr fährt auf zu seinem Reich. Ich hab es nicht so mit der Himmelfahrt. Das sind naive antike und heidnische Vorstellungen, an der Nahtstelle - heute sagt man Schnittstelle - zwischen hohen Hügeln und der Lufthülle des Planeten. Für mich ohne religiöse Relevanz. Ich stelle mir anstelle des Davonfliegens lieber das Durchdringen vor. Ich liebe Vorstellungen wie Osmose, Browne´sche Molekularbewegung und Diffusion. Ich bewundere die Kunst der Mayonnaise-Zubereitung, bei der sich sträubende Substanzen durch sensible Behandlung zu einer neuen Qualität verbinden. Ich liebe Legierungen und Lösungen, Homogenisierung und Teige und das Entstehen neuer Qualitäten durch Synthese. Dennoch, diese Vertikale der Himmelfahrt hat auch etwas, weil sie ja keinen Endpunkt markiert: Da steigt der Sohn empor zum Vater, und der gießt den Geist zurück, und so werden die Lebewesen der Erde berührt und entflammt vom ewigen Auf und Ab der Schöpfung, werden zu Teilhabern dieser Art Aufzug, den man bautechnisch nicht ohne Tiefsinn Paternoster nennt. Die Engländer sagen elevatorElevare, lateinisch, heißt heraushebennach oben heben.





Lied 229, erste Strophe
229 ist ein schlichtes aber schönes Lied, ganz in der Art der Blütezeit des klassischen Chorals aus dem 16. Jahrhundert. Vier Zeilen, vier Phrasen, A - A´ - A´´ - A´´´, noch ohne die geschlossene Form A - A- B - A´, wie zum Beispiel Nun danket alle Gott. Ich begleite klassisch, Akkord für Akkord, Note gegen Note, mit braver Kurzmodulation in die Dominante in der dritten Phrase.

Dann kommt die erste Schriftlesung. Frau B. liest aus der Apostelgeschichte, erstes Kapitel. Die Jünger Jesu harren im Obergemach eines Hauses in Jerusalem, zusammen mit den Frauen um Jesus, vereint im Gebet. Vermutlich eine Momentaufnahme, die Lukas zu einem Zustand ausbreitet. Danach Lied 241 - Komm, Heilger Geist, der Leben schafft. Und spätestens jetzt fällt bei mir der Groschen: Der Pfarrer zieht die Pfingstthematik um eine Woche vor, warum auch immer. Himmelfahrt und Geistausschüttung sieht er ineins, dieser Gottesdienst schafft den Zusammenhang.
Der berühmteste und wohl älteste unter den überlieferten lateinischen Hymnen ist Veni, Creator Spiritus, gedichtet von Hrabanus Maurus, zur Zeit Karls des Großen (ca. 800 !!), geläufig unter Komm, Schöpfer Geist (Heinrich Bone, 19. Jhdt.). Die gregorianische Melodie dürfte gleich alt sein, ist aber erst 150 Jahre später belegt:
Lied 240, lat. Original zu Lied 241
Eine wörtliche Übertragung von Martin Bachmeier:

Komm, Schöpfer Geist, die Gesinnungen der Deinen besuche;
erfülle mit oberer Gnade die Herzen, die Du geschaffen hast!

Der Du der Beistand genannt wirst, des höchsten Gottes Geschenk,
lebendige Quelle, Feuer, Liebe und geistliche Salbung.

Du Siebengestaltiger im Amt, Finger der väterlichen Rechten,
Du nach heiligem Brauch Versprochenes des Vaters, mit Rede bereichernd die Kehlen.

Zünd’ an das Licht den Sinnen, gieß’ ein die Liebe den Herzen,
das Schwache unseres Leibes stärkend durch ununterbrochene Tugend!

Mögest den Feind weiter zurückstoßen und den Frieden sofort schenken!
Mit Dir so als vorausgehendem Lotsen mögen wir alles Schädliche meiden!

Gib, dass wir durch Dich den Vater verstehen und auch den Sohn erkennen
und an Dich, beider Geist, zu jeder Zeit glauben!

Gott, dem Vater, sei Ehre und dem Sohn, der von den Toten
auferstanden ist, und auch dem Beistand in die Zeitalter der Zeitalter!

Und hier eine dreistimmige Komposition von Magister Perotinus aus der Kirche Nôtre Dame in Paris, ca. 1200, Anfänge der Mehrstimmigkeit in Europa. Die Hymnusstimme wird von zwei anderen Stimmen umspielt. Es entstehen Konsonanzen und Dissonanzen, die sich immer wieder am Ende der Zeile in die Oktave auflösen ("herbe" Mehrstimmigkeit, auf der Orgel exzellent nachzuempfinden):

Mit einem Schlag wird mir wieder bewusst, was, wer der Geist ist. Er ist die göttliche Kraft, die erschafft, verwandelt, bewegt, überrollt, trocken legt und neu bewässert. Das Kraftwerk Gottes. Gott selbst als Kraftwerk. Wir Menschen können uns die kompakte Universialität Gottes nicht vorstellen. Wir zerlegen sie in drei leichter fassbare Personen, die doch nur einer sind und eine IST. So wie wir den Raum in Länge, Breite und Höhe zerlegen, die aber je einzeln nicht die Fülle beschreiben können, die der Raum selber ist.
Jetzt hat er mich berührt, der Geist. Und ich sitze doch nur an einem Klavier neben drei Frauen, einer aufknospenden kindlichen Schönheit und einem alten Pfarrer, der mich schon seit 1960 kennt, als ich, sechzehnjährig, ihm in seinem VW-Käfer auf die Dörfer zu folgen hatte, wo er in der Diaspora, die er alsbald kräftig entwickelt und aufgebaut hat,  seine Messen las. Hallo, Geist, denke ich schüchtern und lasse den Hymnus perlen. Eine geniale Melodie, ohne Notenwerte notiert, frei rhythmisch atmend, Zwilling der atmenden Seele, die im Ein und Aus strömt und stockt, horcht und singt. Zwei Strophen nur, und dann kommt das Evangelium.

Johannes 17, 1-11a. Oh Gott, denke ich, Johannes, das Evangelium ohne jede historische Güte, reine, bereits vom Hellenismus geprägte Theologie, schon ordentlich abgehoben vom Original aus Galiläa, als Jesus noch mit den Pharisäern diskutiert hatte über die rechte Art, die Gesetze der Thora mit menschlicher Vernunft und der kindlichen Liebe zum Vatergott ineins zu bringen und so das Leben zu ermöglichen.
Der Pfarrer meint, er wolle nur kurz was dazu sagen. Es wird aber doch etwas mehr, weil ihn die Begeisterung mitnimmt, und da kappt er gleich jeder wissenschaftlichen Textkritik die Spitze: Hier fasst Johannes die Kernaussagen Jesu zu einer Rede zusammen, ein literarischer Kunstgriff. Richtig, in der Tat, diese so genannte Abschieds- oder Vermächtnisrede Jesu ist so nie gehalten worden, sie ist reine Literatur. Damit kann aber ihr Inhalt nicht in Frage gestellt werden, ebensowenig, wie man erwarten darf, dass ein schriftliches Testament die komplette Biografie eines Verstorbenen aufblättert - aber eben doch seine Grundlinien offenlegt.
Und das sagt ein alter Pfarrer, der nicht im Verdacht steht, modische Theologenhüte zu tragen. Diese Sätze im 17. Johannes-Kapitel sind wie ein Grundgesetz. Reine Theologie, mit 80-jährigem Abstand zum realen Leben Jesu. Eine Deutung, eine Ausdeutung, eine Systematisierung. Meine Gedanken purzeln herab, parallel zur Predigt. So redet niemand über sich selbst: Vater, verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche. Und das folgt in diesem Johannes-Text immerfort, in mehreren Varianten, als ob Johannes um die treffendste Benennung dessen ränge, was in ihm ist und sich nicht dem schlichten Wort fügen will, das alleine zur Verkündigung für viele taugt. Aber kann damit nicht gemeint sein: Zwischen mir Mensch und dir Gott sind kraftvolle Felder, wie die der durchflossenen Spule, die den Elektromotor mir aus den Händen treibt, wenn ich ihn anhalten will, und ich stoße empor zu dir, und du schickst deinen Strahl nach unten, will sagen zu uns, denn wo ist oben und unten in der Raumzeit? Und dieser Strahl versiegt nie, wie Franz Werfel dichtete (bald im BLOG), und in dieses Spannungsfeld durch uns und mit uns und in uns wird der Raum der Schöpfung aufgespannt, deine Idee des immerwährenden Seins, aus dem alles ist, das du selber bist, und wir mit dir, aus dir, von dir und in dir. Ich nehme an (im doppelten Wortsinn), dass Jesus solche Worte nie verkündet hat, dass aber alles, was er tagtäglich tat und sagte, im Alltag, in der Synagoge, im Gespräch, als Kommentar, als Bemerkung, ironisch wohl oft, und bissig manchmal oder provokant, sich auf diesen Nenner bringen lassen kann, den der Schriftsteller Johannes literarisch gestaltet, um ihm verbindliche Größe zu geben.
Diese Einsicht fliegt mir in diesem Moment zu! Unerwartet, unverhofft, unvorbereitet, geradezu stürmisch, erhellend und reinigend.
Der Pfarrer kommt in Fahrt. Ewiges Leben, sagt er, ewiges Leben umschreibt keine Dauer, keinen Anfang und Ende, keinen Verlauf. Ich sitze senkrecht, denn diese Fragen habe ich schon zig Pfarrern gestellt. Pfarrerinnen noch nicht. Und immer haben sie sich gewunden und entzogen, wie ein glitschiger Fisch, dem das Wasser genügt, weil er von Erde, Luft, und Feuer nichts wissen will. Ewiges Leben, sagt der Pafrrer, ewiges Leben bedeutet, Anteil bekommen am Leben des Ewigen. Für mich heißt das wiederum nichts anderes als geöffnet werden dürfen für die Erkenntnis des Großen Ganzen, erfahren, was die Mystiker Schauen genannt haben. Und Jesus ist der bäuerliche, naive, glaubwürdige Mittler dieser einfachen Art, mit und in Gott zu sein, ohne Theologie, ohne Konstrukte, einfach im Hinatmen zu dem, was uns anatmet, aus allen Enden und Ecken, oft und manchmal auch nicht, verstellt und offen, Sehnsucht anzündend und Resignation hinterlassend, aber virulent und vital, ohne Kenntnis vom Wann, vom Wo und vom Wie, ohne Gewähr oder gar Sicherheiten, wie die Banker sagen. So wie jetzt. In dieser Stunde!
Heiliger Geist, was tust du? Was tust du, durch und mit diesen fünf Menschen, die mit mir hier sind, beim Vollzug des Mysteriums vom Teilen des Lebens, von Fortpflanzen und Zellteilen, von Sterben und Hingeben der Trägermoleküle, vom Wettern und Verwittern, indem der Pfarrer nämlich gleich sagen wird: Das ist mein Leib, das ist mein Blut, nehmt es als Bekräftigung, dass es so ist, und als Kräftigung, auf diesem holprigen Weg nicht aufzugeben. Nach dem Gottesdienst wird er sagen: Morgen habe ich drei Taufen, es kommen wieder Kinder, wie schön!
Und dann zitiert er seinen Namenspatron, Anselm von Canterbury, einen Piemonteser, der später in England wirkte, zur selben Zeit als der Hymnus Veni Creator populär geworden war. Von Anselmus, Kirchenlehrer und heilig gesprochen, stammen ein paar Kernsätze, die die abendländische Theologie und Philosophie maßgeblich beeinflusst haben. Der Pfarrer zitiert den ersten:
Fides Quaerens Intellectum - Der Glaube ist auf der Suche nach Einsicht (Verständnis, Einklang mit der Vernunft).
Es wird mir, als ob eine Spange um mein Herz zerspringe: Danach habe ich immer gesucht und gefragt, damit bin ich immer abgeblitzt bei den Predigern und Theologen. Meine Bitte, Kann man denn nicht glauben ohne den Verstand zuhause lassen zu müssen? haben sie mit Gelaber und Versatzstücken beantwortet wie Glauben heißt nicht wissen. Was für ein Blödsinn! Was ist mir ein Glaube, der Augen zu, Ohren zu, Mund zu voraussetzt. Wozu nützt ein Glaube, der blutleere Weisheiten aufzählt, der seine Glaubenden zu Marionetten des Überichs macht, gesteuert von Autoritäten, die dadurch ihre Pfründe sichern?
Zuhause suche ich nach Anselmus und finde zwei weitere Sätze:
Credo ut intelligam - Ich glaube, damit ich begreife,
und Anselms Ansatz zum ontologischen Gottesbeweis:
Aliquid quo maius nihil cogitari potest -  Etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.

Endlich! Ich bin zu unbelesen, um über diese Sätze urteilen zu können. Aber sie dringen mir ins Herz, als ob ich auf sie gewartet hätte. Und ich weiß, dass auch sie sich verwandeln werden und mir nicht als eherne Türsteher dienen werden.

Der Pfarrer spricht weiter: Jesus predigt nicht den individuellen Weg. "Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind" ist keine elitäre Beschränkung. Diese Zahlen sind keine Nummern sondern eine Andeutung, so verstehe ich jetzt: Spielbar schon in kleinster Besetzung, wie die Musiker sagen, aber auch im Tutti. Der Weg, sagt der Pfarrer, gehe in drei parallelen Spuren: aus dem  Gebet, durch die Sakramente und in Gemeinschaft.

Jetzt eilt der Gottesdienst nur so vorüber. Lauter Lieder vom Heiligen Geist, zum Heiligen Geist. Bis zum Schluss. Ich mache ein Nachspiel, das mir förmlich zufliegt: Komm Schöpfer Geist, kehr bei uns ein! Der Pfarrer zieht aus mit dem ministrierenden Engel, Frau B. räumt sofort den Altar auf, und die beiden Damen gehen schwerfällig an meinem Klavier vorbei. Sie nicken mir freundlich zu und streben zum Ausgang. Ich könnte mich jetzt verlieren in Variationen aus der Tonart G-Dur. Zwei Minuten noch, dann schließe ich. Mit dem tiefen G. Noch beim Schließen des Deckels klingt der Ton im Kirchenraum nach.
Ein kurzes Tschüss in der Sakristei. Der Pfarrer ist schon auf und davon, das Engelchen hängt seine Kutte in den Schrank. Frau B. wuselt hier und dort. Und dann steige ich ins Auto.

Was war das?

Hergefahren bin ich mit dem Gedanken, vielleicht gelingt mir mal wieder was auf der Orgel, mit dem ich zufrieden bin. Vielleicht inspiriert mich was. Und der Geist hat mich geradezu überfallen, eine Woche vor Pfingsten, hat mir eingeschenkt bis zum Überlaufen. Er hat nicht gewartet. Weil er weht, wann, wo und wie er will. Und schon weht er woanders. Alles ist wie zuvor. Nur drinnen, da glimmt etwas und wartet, bis der nächste Anhauch die Flammen wieder aufzüngeln lässt.
Danke, Geist!

Donnerstag, 2. Juni 2011

Life: Entenbrust asiatisch

Keiner weiß, was rauskommt.

Ziel: 12 Uhr Mittagessen aus
Kartoffelsuppe mit Dämpfzwiebeln und Croutons,
Entenbrust, gebraten, auf Wok-Gemüse,
Himalajareis,
Eis vom Supermarkt.

Das habe ich bisher gemacht (zwischendurch werden andere kleinere Verrichtungen erledigt, am Schreibtisch, an der Spüle, und natürlich Life-Posts hier im Blog):

7:30
2,5 l Wasser mit einem halben Huhn, zerlegt in drei Teile, mit dem gelben Fett, für eine Hühnerbrühe aufgesetzt.

8:00
Marinade (ca. 1/4 l) aus Weißwein, Sojasauce, Rotweinessig (wenig, nur als Partner des Zuckers in marmelade und Ketchup, wo sowieso schon Essig drin ist), engl. Orangen-Bittermarmelade, Ketchup, Stärkemehl, Wasser, Ingwerpulver. Mengen aus Gefühl, da muss man sich in die Marinade innerlich versenken und mit der Zunge auf den Lippen spielen, dann kommen die Gewürzerinnerungen und man weiß wieviel nötig ist.
Entenbrust gewaschen, getrocknet, Fettseite 4x längs und mehrmals quer eingeschnitten mit scharfem Messer ohnebis auf´s Fleisch zu treffen (etwas heikel, man muss sorgfältig das messer führen, am besten keramikmesser oder eben am Stahl wetzen), Fettseite gepfeffert aus der Mühle, etwas in die Spalten einreiben, in die Marinade legen (muss gerade bedeckt sein), manchmal wenden.
Knoblauch, drei Zehen in Scheiben und dann in Streifen schneiden.

bis 9:30
Brühe köchelt klar wie ein Bergsee. Teebeutel einhängen mit Gewürzen: 1 Knoblauchzehe, Prise Pfefferkörner, Lorbeerblatt, Streifen von Zitronenschale, Rest Liebstöckelkraut. Zwei geschälte Karotten halbieren, einlegen. Deckel mit Löchern drüber (dazu nehme ich ein rundes Knöpflesblech), so kann die Brühe frei atmen, kocht nicht aus und bleibt klar. 30 min einstellen, nicht länger, sonst wird´s evtl. bitter.

bis 10:00
Gemüse vorbereiten. Für die Ente: 1 große Zwiebel in Spalten schneiden (wie Apfelschnitze), für die Suppe: 1 mittlere Zwiebel sehr fein würfeln. 1 Glas Bambusscheibchen waschen, halbieren. Zwei rote Paprikaschoten putzen, schneiden, 1½ in grobe Längsstreifen (Ente), ½ in feine Querstreifchen (Suppe).

bis 10:20
½ Pfund Basmati-Reis (grade entdeckt, muss zuerst weg; der vom Himalaja ist noch verschlossen) für den Dampfgarer vorbereiten (im Blech verteilen, 1½-fache Menge Wasser bereit stellen, Garer auf 11:50 timen, Wecker auf Einschiebzeit 11:00 stellen, Wasser kommt erst vor der Garzeit dazu, sonst quillt der Reis vor und die präzise, werkseitig programmierte Garzeit ist zu lang).
Brühe von Huhn und Gewürzen befreien, etwas ruhen lassen.
Entscheidung getroffen: Entenbrust wird am Stück gebraten, warm gestellt im Backofen, erst danach geschnitten. Vermutlich würde sie im Wok beim Kurzbraten nicht gar und unansehnlich; der Chinese serviert die Ente auch immer als geschnittenes Stück.
Jetzt ist etwas Luft. Mal gucken, was an Salat da ist. Soll ja nicht verzehrt werden, heißt es. Wegen EHEC. Gleichzeitig werden die Spanier frei gesprochen. Tonnenweise sind Gurken verreckt, und in Brüssel bürokraten die Bürokraten.

bis 10:50
Brühe abgießen über Küchentuch im Sieb, schöpflöffelweise. 2 Liter messingelb glänzende Pracht im Topf. Ein Teil für die Suppe, ein Teil für den Risotto, den ich morgen Abend machen will, wenn Besuch kommt.
Novita-Salat gefunden. Riesenteil aus Bayern. Wird verzehrt. Trotz Brüsseler EHEC-Verwirrung. Hälfte ausputzen, waschen rupfen.
Jetzt ist Logistik angesagt. Um 11 Uhr kommt Besuch. Frau Angela will gegen 11 Uhr auf ein Gläschen vorbeischauen. Frau Angela ist unsere Tupperberaterin und bringt mir etwas neues, das mich angemacht hat. Also muss Vater kochen, schreiben, smalltalken, lächeln, loben, charmieren, Komplimente machen und seine berühmte vatertagsfreundliche Laune im Antlitz tragen. Fällt nicht schwer neben Madame ChouChou und ihrer reizenden Bekannten.

bis 11:50
Mannomann, das war eng: halbe Stunde wichtiger Anruf, Thema Roßdorf, Strategiegespräch.
Nebenher Suppe angeleiert: Zwiebel Margarine und selbst gemachtem Margarineschmalz (schmeckt nussig) anrösten, mit etwas Tomatenmark tomatieren,  Kartoffelbreirest hinein, ablöschen mit Weißwein, Hühnerbrühe, Wasser, sämig mixen, Paprika rein, ziehen lassen. Salzen, peffern, muskatieren. Später kommt noch ein Eigelb als Bindung dazu.
Reis ist mittlerweile gegart, selbständig. Und jetzt werde ich die Entebrust braten.

bis 12 Uhr 30
Das Telefonat und Angies Präsenz haben mich 40 min zurück geworfen. Als Rentner ohne Termindrücke von Investoren oder Lautsprechern nehme ich das locker. Außerdem ist die Gästin noch nicht da. Vermutlich noch im Bett oder beim Styling.
Angie hat mir das DU angeboten. Also Champagner öffnen. Wirft natürlich auch zurück. Aber dass ich im Prinzip um 12 Uhr 30 fertig bin, neben allen anderem Kram, das ist schon vatertagsmäßig himmlisch.
Suppe fast fertig. Ente gebraten, leider etwas zu dunkel, aber dafür wird Madame mich küssen. Sie liebt verbranntes Fleisch zwischen den Zähnen. Angela hat mir das Tuppergeschenk mitgebracht: Einen kleinen Edelstahl-Wok mit Kompenzboden, also mittlere Güte im grünen Bereich. Und den werde ich jetzt ins Gefecht schicken: Gemüse woken: Erst Erdnussöl, auspinseln, dann Zwiebel, Bambus, Paprika. Bei Gar-Knackpunkt ablöschen mit der Marinade, es wird sämig. Evtl. mit Wasser etwas strecken. In die Schale, Ente drauf, Reis dazu, den Madame aus dem Garer geschaufelt hat. Vermutlich werden wir den Salat erst heute Abend zum Vesper anrichten. Noch steht er feucht in der Tupperschleuder, schamhaft mit einem Kleenex bedeckt.

Und schon hat sich Bärbelein angekündigt. Zum Essen. Programm noch unklar. Anita auch, und Angelina Marissa. Die beiden wollen Rindsrouladen mit Spätzle und Kartoffelsalat. Alte Liebe geht eben durch den Magen und beflügelt sensible Männer zu Höchstleistungen in Sachen Beweglichkeit und Service.

KinderKuecheKirche meldet sich dann wieder. Life.

Mahlzeit!
Selbsteinschätzung: 3,0 (bfr.)