Camilla Maria Schweizer (1892 - 1962)

Camilla Maria Schweizer (1892 - 1962)
Meine verehrungswürdige Oma. Sie hat mir gegeben was mich umtreibt im Haus.

Mittwoch, 15. Juni 2011

Seraphen mit sechs Flügeln

Sechsflügeliger Seraph.
Europäische Wandmalerei

Am kommenden Sonntag hat die ev. Kirche zum Trinitatis-Sonntag offenbar Jesaja, Kapitel 6 als Predigttext vorgegeben. Manche Predigerinnen und Prediger ratschlagen noch (in Facebook), wie sie damit umgehen sollen. Weiß ich auch nicht per Stein der Weisen, aber ein paar Einfälle sind mir dazu gekommen heute Nacht.
Ich plaudere hier alles aus, was mir dazu einfällt, ungeordnet, so wie´s in den Kopf kommt.

Der Text aus www.Bibel-online.net, mit Links (vulgo: Verweisen) auf assoziierte andere Bibelstellen:

Jesaja - Kapitel 6

Jesajas Berufung zum Propheten

Des Jahres, da der König Usia starb, sah ich den HERRN sitzen auf einem hohen und erhabenen Stuhl, und sein Saum füllte den Tempel. (Johannes 12.41) Seraphim standen über ihm; ein jeglicher hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll! (Offenbarung 4.8) (Habakuk 3.3) daß die Überschwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. (Hesekiel 10.4) (Offenbarung 15.8) 
   Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. (2. Mose 33.20) Da flog der Seraphim einer zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen gerührt, daß deine Missetat von dir genommen werde und deine Sünde versöhnt sei. (Sacharja 3.4) 
   Und ich hörte die Stimme des HERRN, daß er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich; sende mich! Und er sprach: Gehe hin und sprich zu diesem Volk: Höret, und verstehet's nicht; sehet, und merket's nicht! (Matthäus 13.11-15) (Johannes 12.40) (Apostelgeschichte 28.26-27) 10 Verstocke das Herz dieses Volkes und laß ihre Ohren hart sein und blende ihre Augen, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich bekehren und genesen. (5. Mose 29.3) 
   11 Ich aber sprach: HERR, wie lange? Er sprach: Bis daß die Städte wüst werden ohne Einwohner und die Häuser ohne Leute und das Feld ganz wüst liege. 12 Denn der HERR wird die Leute fern wegtun, daß das Land sehr verlassen wird. 13Und ob der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie eine Eiche und Linde, von welchen beim Fällen noch ein Stamm bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stamm sein. (Jesaja 4.3)

Meine Gedankensplitter dazu:

1.   Klären: Was hat diese Perikope mit der Dreifaltigkeit zu tun? (Peri-Kope = Aus-Schnitt, also zur gesonderten Betrachtung herausgenommener Abschnitt.)

2.   Jesaja gilt aus christlicher Sicht als einer der wichtigsten Propheten der Jüdischen Bibel (AT), weil bei ihm das Erscheinen des Messias vorgezeichnet sei.

3   Jes 6 ist das Dokument der Berufung des Propheten, und zwar sogleich mit einem für´s erste schwer nachvollziehbaren Auftrag: Führe Jerusalem vor, indem du dieses Volk ohne Ohren und Augen vollends ins Elend zwingst, damit sie bis zum Stumpf vertilgt werden und erst danach etwas Neues wird wieder wachsen können. Kann man den letzten Satz so verstehen: Aus dem Stumpf wächst wieder etwas? Assoziation: Im Weihnachtslied Es ist ein Ros (eigentlich ein Reis, also ein junger Trieb, der aus einem Wurzelstock zart entspringt; nicht er Wurzelstock ist zart sondern der frische Trieb!) entsprungen aus einer Wurzel zart wird auf Jesaja bezogen: ... wie uns Jesaja sagt ... Gemeint sind dabei die Prophezeiungen des Propheten, dass der Messias komme, an anderer Stelle des Jesajabuches. Das Bild des jungen Triebs ist aber in Jes 6,13b ebenfalls da: Ein heiliger Same wird solcher Stamm sein.

4   Das war das Pferd vom Schwanze her aufgezäumt. Zuerst einmal geht´s in Jes 6 natürlich um die Berufung des Propheten selbst.

5     Nach allem was ich aus eigenem Träumen weiß, nächtlich, nicht im Dösen, das sich jahrzehntelang in einer epischen Fülle eingestellt, wiederholt, gesteigert und wieder zurück gezogen hat, vom Material her etwa dreibändig, Großformat, nach all dem muss ich den Berufungstext bei Jesaja als Traum betrachten. Selbst wenn es sich um eine sogenannte Vision handeln sollte, hat diese notwendigerweise den Charakter des nicht Rationalen. Dabei vermengen sich Bilder in nicht selten unrealistischer Weise und signalisieren Bedeutungen, die in tiefen Schichten liegen und aufgeblättert werden müssen, wenn man sie verstehen will. Sie nur an der Oberfläche des Textes, sozusagen als Realbericht zu nehmen, geht meines Erachtens nicht. Versucht man zudem, sich die Weltsicht eines gebildeten und sozial abgesicherten Bürgers von Jerusalem kurz vor dem Babylonischen Exil vorzustellen, ergeben sich mir folgende Haltepunkte:

Yo Gi Oh - Karte
a)   Die Erde ist ein Spielfeld weltlicher Mächte und Kräfte, repräsentiert durch Machthaber in Glanz und Prunk samt ihrem (militärischen) Potential.
b)   Für Juden ist der oberste Herr und Kriegsherr der eine Gott, der keinen Eigennamen hat (außer, seit Moses: Ichbinda), von dem es kein Bild gibt, eines zu machen nicht sinnvoll und deswegen streng verboten ist, und den man nicht sehen, geschweige denn ansehen kann, weil man sonst verzehrt wird von der Gluthitze seines Feuers.
c)   Jerusalem ordnet sich der Tempelhierarchie unter.
d)   Die Welt ist ein Schlachtfeld des Überlebens, nahrungstechnisch und sicherheitstechnisch. Wer vom Pfad der Tugend und gesellschaftlicher Ordnung abweicht, wird von Gott streng bestraft, bis hin zur Vernichtung. Gleichwohl buhlt man um die Huld Gottes und sieht Zeichen für Zuteilung oder Verweigerung in allen Phänomenen der belebten und unbelebten Natur.


Yo Gi Oh - Karte
e)   Für die Vorstellung der überirdischen Mächte haben sich schon seit Jahrhunderten Bilder und Bilder von Figuren und Rollen herausgebildet, die man im gesamten Orient dargestellt sieht: Geflügelte Wesen, thronende Wesen, feurige Wesen, Mischwesen aus Tier und Mensch, gefräßige und menschenverschlingende Wesen, übermächtige Kriegsmaschinen und Kriegshelden, Götter, die hinter den Naturgewalten und Schicksalen stehen, persönlich, im Streite miteinander und unberechenbar. Insgesamt ein Panoptikum, das von Menschen erdacht ist und bis heute fasziniert. Siehe auch die japanischen Pokemon-Figuren, vor allem auch die Yu-Gi-Oh-Karten, mit denen Buben spielen, auf denen alle diese phantastischen Figuren und ihre Mächte und Ohnmächte, Stärken und Achillesfersen minutiös dargestellt sind.
f)   Ich behaupte, dass Jesajas Berufungsvision aus der Vorstellungswelt jener Zeit ihre Bilder hat und keine Realschilderung eines objektiv gegebenen Fakts ist.
g)   Unter Fakt verstehe ich etwas, das auch außerhalb von mir, von anderen nachgedacht, überprüfbar und reproduzierbar ist.

6   Woher hat Jesaja seine Traumbilder? Sind sie ihm gegebene und haben sie nichts mit seinen Erfahrungen in der Wachheit zu tun? Oder nehmen sie Erfahrungen der Wachheit und collagieren mit ihnen etwas Neues, ohne die Fesseln der Ratio ? Und hätte dann dieses Neue Anspruch auf Bestand in der Welt des Wachseins, in der Jesaja dann predigt, prophezeit, warnt und andere überzeugen will?

Yo Gi Oh - Karte
7   Jesaja sagt lapidar: Ich habe den Herrn gesehen. Das ist, so weit ich weiß, einmalig in der Bibel. Nicht einmal Moses hat den Herrn gesehen, obwohl er mit ihm einen mehr als intensiven Austausch hatte (Sinai, 10 Gebote, Dornbusch).

8   Jesaja sagt aber nichts Näheres über über sein Sehen des Herrn. Stattdessen beschreibt er die Seraphen. Diese galten als die gottnächsten himmlischen Wesen, gefolgt von den Cheruben. Von beiden Vorstellungen gab es in der Antike vielerlei bildliche Darstellungen. Zum Beispiel an der Bundeslade. Dann die Sphinxen in Ägypten, sicherlich diverse "Götzenbilder", Figuren an Stadttoren und besonderen Plätzen, Standbilder aller Art, Einritzungen und Schmuckgebilde. Solche Darstellungen dürfte Jesaja gekannt haben. Dann wäre nicht verwunderlich, wenn sie in seine Traum- oder Visionswelt einfließen. Außerdem kannte Jesaja wohl den Tempel in Jerusalem nicht nur von außen. Nach meiner Lektüre gehörte er zu einer privilegierten Schicht, die weit hinein Zugang gehabt haben dürfte, wo er sicherlich Eindrücke des Hohen und Großen hatte, das sich auch im Traumbild umsetzen und erweitern lässt.
Cherub, auch er hat sechs Flügel



Ich selber hatte einst eine Traumbegegnung mit einem (mit einer Art) Engel, auf freiem Feld trat der auf, ca. 80 Meter hoch, wie ein Turm, und von einer ehernen Lautstärke im Rufen, die mich erschüttert und gleichzeitig eingehüllt und geschützt hat. Seither denke ich mir Engel nicht als Flügelwesen mit Gesicht sondern etwa wie riesige Roboter - das ist nur ein Versuch, den Eindruck weiterzugeben - allerdings nicht aus Metall und Elektronik sondern aus wehender Stärke, aber eben mit Gestalt und kaum begrenzter Kraft.
Die Frage allerdings muss offen bleiben: a) "Sieht" Jesaja Bildcollagen, die sein Gehirn aus dem produziert, was es in sich trägt, oder werden ihm b) von außen, also in diesem Falle vom Herrn, Bilder eingelegt, oder - falls b) - bedient sich c) der Bildeinleger dabei der Bilder, die in Jesaja da sind oder projiziert er d) neue in das Wahrnehmen des Jesaja?

Cheruben im Tempel, Fantasiebild.
9   Die Visionsbericht Jes 6 muss so eindrücklich gewirkt haben, dass er bis heute die Vorstellung von Seraphim (Mehrzahl von Seraph, bedeutet soviel wie Hitzebringer, auch Schlangen wurden so bezeichnet, deren Biss Feuer im Leib erzeugt) und von der geradezu tumultartigen, nicht fassbaren Großartigkeit der Heiligkeit im und um den Herrn geprägt hat. Das Bild der auf und ab steigenden Engel, oder hin und her wogenden Schallrufe, das man ja auch aus der Weihnachtsgeschichte kennt, das ängstigt, weil so erdrückend gewaltig, so dass die Engel erst einmal sagen müssen, fürchtet euch nicht, hat die ganze einschlägige Literatur und Bilddarstellung des Abendlandes zu diesem Komplex geprägt. Mir fällt ein eine Illustration in Dantes göttlicher Komödie. (Bild suche ich noch)

10   Das dreimalige Heilig (Tris-Hagion) samt dem kompletten Zitat in Vers 3 ist heute noch das Zentrum der so genannten Präfation, des Hochgebetes der katholischen Messe (Sanctus), Höhepunkt der Vorbereitung der Transsubstantiation in der Wandlung (Brot wird zum Leib Christi). Diese liturgische Rolle zeigt die überragende Bedeutung der Jesaja-Vision für das jüdisch-christliche Gottesbild und den Kult.

11   Jesaja biete sich zur Sendung an. Andere Propheten oder Figuren des AT, die der Herr als Mitarbeiter im Visier hatte, haben sich anfangs eher geziert oder dem Appell zu entziehen versucht (etwa Jonas). Demgegenüber erweist sich Jesaja nach der Berührung seiner Lippen durch glühende Kohle geradezu als eifriger Musterschüler. Wie deutet man das?

12   Welche gewichene Schuld, welche gesühnte Sünde ist gemeint in Vers 7?

13   Jesajas Vision lässt sich datieren: 736 v.Chr., "als König Usija starb". In dieser Zeit bedrängte das Assyrische Reich unter Tiglatpileser das jüdische Land. 722 kommt es zur Eroberung des Nordreiches, die gesamte jüdische Oberschicht wurde ins Exil geführt (Babylonische Gefangenschaft). Frage: Ist es denkbar, was in den Evangelien später gang und gäbe ist, dass erlebte Geschichte (Niedergang Jerusalems und des Tempels) im Berufungsbericht des Jesaja als prophetische Ankündigung und die eigentlich unverständliche Drohung des Herrn (selbst in Sodom und Gomorrha ließ er mit sich feilschen!), ohne Gnade bis auf den Stumpf auszuradieren, bekannt war und somit begründet in die Prophetie in Jes 6 Eingang gefunden hat?

14   Jesaja bedeutet Gott hilft (also die hebräische Urform des schwäbischen Gotthilf). Da spüre ich einen Widerspruch zu dem geradezu sintflutstrengen Hinweis des Herrn, Jesaja soll solange das Volk vorführen, bis es vollends getilgt sein werde. Irgendwas passt da oder verstehe ich da nicht.

15   Ich habe heute fast 10 Predigten evangelischer Theologen zu Jes 6 im Internet gelesen, vom Prof. Dr. Dr. bis zum Studenten. Alles nicht ganz so sehr berückend. Viele Wörter und Sätze. Offenbar ein schwer zugänglicher Text mit homiletischen Hürden. (Homilie = Die Kunst der Predigt, des Austauschs).

Und hier noch ein Bild von Hieronymus Bosch, dem Maler des ganz normalen Grauens, Wahnsinn, der Hölle, des Himmels, des Unwirklichen und des nur subjekitv Wirklichen.


Hieronymus Bosch, Gefallene Engel

(Alle Abbildungen aus Google Bilder)

9 Kommentare:

  1. Was ist Wirklichkeit?
    Ist ein Traum weniger wirklich als eine Gemeinderatssitzung?
    Und wo sind unsere Träume vom Heiligen? Und unsere Begegnungen mit dem Jenseits-der-Worte?

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  2. Die "Wirklichkeiten" im Traum und im Wachzustand können sich stark vermischen. Ich weiß das vielleicht besser als viele, denn praktisch alle meine früheren Versuche, meinen Mitmenschen davon zu erzählen, die Stärke und die Dimensionen von Traumerlebnissen auch nur anzudeuten, sind an Unverständnis und Desinteresse gescheitert. Daraus muss ich schließen, dass diese Art des Erlebens unter den Menschen nicht gleichverteilt ist. (Gleichverteilung ist ein stochastischer Begriff.)
    Meine Gedanken oben bewerten nicht Traum und Nichttraum, sondern versuchen die jeweilige Bilder- und Vorstellungswelt zu benennen, auch auf dem Boden dessen, was man heute darüber weiß.
    Das jenseits der Worte kenne ich nur zu gut aus den Phasen des Übergangs von Traum in Wachheit, die bei mir oft lange dauern. Dabei beobachte ich wie die Logik der Traumbilder, die als perfekt stimmig gesehen wurden, schmelzen und wie bei einem Wechsel des Aggregatzustandes vom Code der Ratio übernommen, verdrängt und ersetzt werden, dass sie untergehen wie Petrus auf dem Wasser.
    Die Frage, was Wirklichkeit sei, ist dabei unwesentlich, denn offensichtlich haben die Menschen noch vor 2500 Jahren beide Wirklichkeiten selbstverständliher als gleichwertig angenommen denn heute.
    Ich wittere in dieser Frage nach "Wirklichkeit" die Sorge, man könne Jesaja (und mit ihm jeden anderen Traumseher) und seinen Traum (Vision) nicht ernst nehmen wollen. Die Frage ist für mich, ob und inwieweit er einer absoluten Wahrheit näher kommt als die Ratio des Wachseins, bzw. ob es eine absolute Wahrheit gibt, ohne dass sie in einem unserer Gehirne Bildgestalt angenommen hätte. Mit den Bildern der Visionen des Nikolaus von der Flüe setzt sich praktisch niemand auseinander, so weit ich weiß. Abgesehen von den Esoterikern, die Gechautes durch ihre eigene Fantasie beliebig aufplustern.
    Kennen Sie, liebe Seherin vom Buchenhain, den Film "Contact"? Jodie Foster hat in wissenschaftlicher Mission etwas erlebt das ihr niemand glaubt. Die Szene der Wiederbegegnung mit ihrem Vater, mit den Sonnen im Hintergrund, ist erschütternd schön. Ein Film, freilich, aber eine lehrreiche Parabel.

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  3. Nein, den Film kenne ich leider nicht. Kann ja aber noch werden.
    Ich bin glaubs insofern seltsam, als ich derart sprachverliebt bin, dass alle Sprache für mich Wirklichkeit ist - so dass ich mir die Frage nach innerhalb und außerhalb gar nicht stelle. Hm.

    Man müßte predigen wie Hieronymus Bosch malt. Nur geht das?

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  4. Diese Ihre Liebe in die Sprache hinein hat was der Sprachmagie bei Kindern. Aber auch Große spüren das. das erste mal zu jemandem DU sagen, den man bislang keine Nähe zugemutet hat, obwohl seine Nähe und ferne vibrieren lässt, ist ein glückseliger Moment. In diesem DU wird ein Wirklichkeit erschaffen, die metrisch und arithmetisch nicht erfasst wird.

    Ich vermute, dass der hebr. Text (Jes 6) dem semitischen Zuhörer mehr bietet als uns die Übersetzung, weil er nur die Konsonanten relativ weniger Worte bekommt und sich das Ganze erst auffalten muss, denn die ganzen Wörter entstehen erst, wenn das Geschriebene zum Klingen gebracht wird im Sprechen. So wie diese Kinderbücher,, die beim Aufklappen eine Szene aufstellen.
    Ich hatte einmal eine türkische Schülerin, Kurdin, vom Lande, schön und klug und ganz in der familiären Welt des kleinen Dorfes groß geworden. Manchmal habe ich kleine Geschichten eingestreut, von mir, von zuhause, was ich erlebt habe usw. Da hat sie sie immer ihre Arme überkreuzt und ihr Gesicht schief darauf gelegt und mit den Glubschaugen nach oben gelugt. Und wenn ich fertig war, hat sie immer gesagt, erzählen Sie weiter, es ist so schön. Was ist denn schön, habe ich gefragt. Das ist wie ein Bilderbuch, wenn Sie erzählen.

    Erzählen Sie doch Jesajas Erlebnis. Das muss dann aber schon so wie Startrek sein, so gewaltig.

    Kennen Sie das Gedicht von F.v.Schiller, vom verschleierten Bild zu Sais? ich glaube so heißt es.

    Den Film dürfen Sie mal bei mir angucken, wenn Sie wollen. Dauert zwei bis drei Viertele und ist so so schön! Und spannend und hervorragend gemacht. mit Paule habe ich ihn schon 2 Mal gesehen. Wirklichkeit trifft Reality.

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  5. Bastle immer noch rum - Film mag ich wirklich gern sehen.
    Das Problem mit dem Erzählen ist: Der Text selbst ist schon so stark - und dann nachher sagen: Okay, jetzt erkläre ich ihn noch mal oder erzähle ihn nach - das sind nur Abstiege. Ich mutmaße mal, dass es ungefähr so in den Internet-Predigten lief, oder?

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  6. Die Prediger haben sich auf breiter Front bemüht. Den Text selber und seine schnörkellose Direktheit habe ich dabei aus dem Auge verloren.
    Wie wäre es, den Text einzukreisen, so wie man ein Wildpferd fängt, es sozusagen von hinten aufzuzäumen, anschleichen, Bausteine anbieten, Andeutungen anzünden wie Lichter, Fragen stellen, dabei auch das für die meisten von uns (noch) nicht Erfahrene skizzieren: die Erschütterung durch eine Einsicht, die wie Blitze vom Himmel fahren, wo man dann nur noch in allen Zungen redet, ohne Semantik, aber so dass alle es "verstehen". Dann ruhig sagen - das ist nun aber meine persönliche Einordnung - jener Prophet kannte die damalige Götter- und Symbolwelt und den Primat des Einen Gottes seiner Religion, und in seiner Traumvision explodierte etwas, und er bediente sich dabei der ihm geläufigen Bilder. Dahinter steckt aber der Anruf Gottes, den man weder filmen noch beschreiben noch vermitteln kann, der erschüttert und stumm macht, zuerst, so wie man im Traum ja auch nicht weglaufen kann. Und dann, wenn der Boden bereitet ist, kommt Jes 6, und das müsste gelesen werden nicht wie eine "Biblische Geschichte", sondern mit geradezu kühl-eherner Sprache, so wie man z.B. das Gedicht "Todesfuge" von Paul Celan zu sprechen hat, wo man also das Unnennbare nennt, das man lieber nicht nennen möchte aber es nennen muss, um dem Ungeheuren Kontur und Recht zu geben.

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  7. Ja. Das hört sich gut an - mit dem Einkreisen. Ich habe schon ganz schön viele Einkreis-Schnipsel, die ich morgen noch mal hin- und herschiebe.
    Danke!
    Und ich muß wohl was zum historischen Kontext sagen - das mach ich immer nicht so gern - weils so belehrend ist.
    Ich bin jetzt natürlich sehr unter Druck, da Sie vielleicht kommen und Experte sind :/

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  8. Ich bin kein Experte. Ich bin unterwegs und suche. Ich suche mir die Augen zu schärfen für das was mich unruhig lässt und wie in einem Schleier vor mir schwebt. Sie liebe Frau Auge haben mir dabei schon viele Lichter angezündet. Danke. Und wenn ich komme, am Sonntag, dann als Hörer.

    Der historische Kontext ist doch relativ einfach, meine ich: Jesaja tritt an in einer Zeit, als Jerusalem vor der Invasion stand. Die Menschen damals dürften sich gefürchtet haben, weil der assyrischen Übermacht sicher der Ruf einer alles niederwalzenden Weltmacht vorauseilte. Und da steckt man gerne den Kopf in den Sand.
    Seine Messiashoffnung ist doch auch eine ganz konkrete, vielleicht dieselbe, die jesu Jünger hegten: Nicht von anderen genötigt und geknechtet werden, von einem Führer in die Freiheit geführt werden, an der die Feinde abprallen.

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  9. Die Roßdorfer Predigt zur Jesaja-Stelle kann man anhören: http://www.ev-kirche-rossdorf.de/

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